Zehn Jahre "Babywiege“ am Berliner Krankenhaus "Waldfriede“

Berlin | APD

Berlin, 22.04.2010/APD Die im September 2000 am Krankenhaus "Waldfriede“ der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Berlin-Zehlendorf eingerichtete Babyklappe besteht nunmehr seit fast zehn Jahren. Laut Krankenhausseelsorgerin Gabriele Stangl sei die Babyklappe in "Waldfriede“ mehr, als nur ein Kasten, in den man unerwünschte Kinder anonym ablegen könne. Die Mutter finde in der "Babywiege“, wie sie in "Waldfriede“ heißt, einen sehr persönlichen Brief vor, in dem Hilfe angeboten und die Pastorin als Ansprechpartnerin genannt werde. Im Vordergrund stehe eine umfassende Beratung von Müttern in Not.

Die "Babywiege“, ein grasgrüner Kasten, befindet sich uneinsehbar an der Rückseite des Hauses A der Klinik und ist durch einen ausgeschilderten, nicht videoüberwachten Eingang erreichbar. Wenn eine Mutter die Klappe öffnet und ihr Neugeborenes in das Wärmebett legt, lösten Sensoren zeitverzögert einen Alarm im ständig besetzten Pförtnerhaus aus, so dass die Mutter genügend Zeit habe das Gelände unerkannt zu verlassen, berichtete Stangl. Das Baby werde sofort auf die Säuglingsstation gebracht und medizinisch versorgt. Das vom Krankenhaus informierte Jugendamt übergebe es dann der Obhut einer speziell ausgebildeten Pflegefamilie. Die Mutter dürfe während der nächsten acht Wochen ihr Kind zurückzunehmen. Geschehe das nicht, werde es zur Adoption freigegeben.

Den Anstoß, die erste Babyklappe an einer Klinik in Deutschland einzurichten, habe Stangl durch ihre Arbeit als Krankenhausseelsorgerin erhalten. "Eine 80-jährige Patientin sprach erst auf dem Sterbebett über die Tötung ihres Kindes. Eine andere Frau musste das Krankenhaus hochschwanger wegschicken, weil sie nicht bereit war, ihre Identität preiszugeben. Als ich hörte, dass in Hamburg eine Babyklappe eingerichtet wird, kam mir die Idee, dass ein Krankenhaus am besten für so etwas geeignet ist.“ Sie habe Mitstreiter nicht nur in der eigenen Klinik, sondern auch bei den zuständigen Behörden gefunden.

In den letzten zehn Jahren seien etwa 20 Neugeborene in die "Babywiege“ gelegt worden und rund 110 Frauen hätten im Krankenhaus anonym entbunden. "Doch 95 Prozent der Frauen, die bei uns anonym entbinden, haben nach intensiver Beratung den Mut, ihre Anonymität aufzugeben“, betonte Pastorin Stangl. Nicht selten würden sich nach einigen Monaten auch Mütter melden, die ihre Kinder in die "Babywiege“ gelegt hätten. Das Vertrauen zu "Waldfriede“ sei inzwischen so groß, dass im letzten Jahr eine Mutter ihr Kind direkt beim Pförtner abgab, anstatt es in die Babyklappe zu legen. Ein Drittel der Frauen behalte schließlich das Neugeborene. Doch auch die meisten anderen Frauen, die ihr Baby zur Adoption freigäben, wollten, dass es später erfahre, wer ihre Mutter sei. Das Durchschnittsalter jener Frauen liege zwischen 27 und 34. "Alle haben große Angst, dass ihre Schwangerschaft aus den verschiedensten Gründen bekannt werden könnte“, teilte Stangl mit.

Die Krankenhausseelsorgerin verstehe deshalb auch nicht die Kritik des Deutschen Ethikrates, der im November 2009 die Abschaffung der Babyklappen und der anonymen Geburt empfahl. Die Kinder hätten das Recht, ihre Herkunft zu erfahren. Kinder ohne dieses Wissen, liefen Gefahr, psychisch zu zerbrechen, so der Ethikrat. Im Zweifelsfalle würde Stangl immer das Recht eines Kindes auf Leben über das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft stellen. In "Waldfriede“ blieben allerdings fast alle Mütter nicht anonym. Doch selbst wenn eine Mutter anonym bleibe, handele sie im Sinne ihres Kindes. "Mit der Babyklappe und der anonymen Geburt entscheidet sie sich für den Schutz des Lebens ihres Neugeborenen“, hob die Pastorin hervor.

Diese Ansicht vertritt auch der Vorsitzende der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, Pastor Günther Machel (Ostfildern bei Stuttgart). Während der 90-Jahr-Feier des Krankenhauses "Waldfriede“ betonte er, "die von Gott gegebene Würde, die ein Mensch hat, veranlasste uns als Krankenhausträger, die Babyklappe und die anonyme Geburt entgegen den Ausführungen des Deutschen Ethikrates beizubehalten und nicht aufzugeben“. Leben sei und bleibe ein Wert. "Und da, wo Frauen und Mädchen in Not geraten sind, wollen wir Hilfestellung anbieten, um am Leben nicht zu verzweifeln.“

"Der schlimmste und der schönste Augenblick in der Geschichte der Babyklappe lagen dicht beisammen“, berichtete Pastorin Stangl. Im Frühsommer 2002 sei ein toter Säugling in der "Babywiege“ gefunden worden. Medienvertreter hätten die Seelsorgerin angerufen und gefragt, ob die Babyklappe nun geschlossen werde. Und auch sie habe sich die Frage gestellt: "Wer wird uns jetzt noch ein Baby anvertrauen?“ Doch kurz darauf habe ein völlig gesunder Junge in der Babyklappe gelegen. "Wir haben ihn Samuel genannt. Der Name bedeutet: den von Gott Erhörten. Wir waren alle über den toten Säugling schockiert, sodass wir nicht wussten, ob wir weitermachen sollen. Wir haben zu Gott gebetet, dass er uns hilft, und dann lag dieser wunderbare kleine Junge in unserer Babyklappe.“ Dadurch wäre Stangl deutlich geworden, dass sie nicht aufgeben dürfe. In der Weihnachtsnacht 2002 sei der kleine Thomas in die Babyklappe gelegt, aber drei Tage später von seinen Eltern wieder zurückgeholt worden. Der einjährige Markus und die fast dreijährige Sonja hätten dagegen bei liebevollen Adoptiveltern Aufnahme gefunden.

Das seit 1920 bestehende Akutkrankenhaus "Waldfriede“ verfügt über 170 Betten und versorgt mit den Fachabteilungen Chirurgie, Innere Medizin, Anästhesie, Radiologie, Gynäkologie und Geburtshilfe jährlich 9.000 Patienten stationär und 13.000 ambulant. Im letzten Jahr kamen dort 820 Babys zur Welt.

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