Sorgerechtsentzug bei Verletzung der Schulpflicht

Karlsruhe | APD

Karlsruhe, 11.12.2007/APD Eltern, die ihre Kinder aus religiösen Gründen nicht in die Schule schicken, darf in Deutschland das Sorgerecht entzogen werden. Das hat der für Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe im Fall von zwei den Baptisten angehörenden Familien aus Paderborn bestätigt, die zwei ihrer Kinder trotz hartnäckiger Versuche der Behörden von der Grundschule ferngehalten hatten.

In beiden Fällen waren die Eltern als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Sie hatten der Schule mitgeteilt, dass sie künftig zwei jüngere ihrer Kinder zu Hause unterrichten würden, da deren Erziehung und Bildung in der öffentlichen Grundschule mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar seien. Die Mitglieder der konservativen Glaubensgemeinschaft lehnen vor allem den Sexualkundeunterricht als zu freizügig ab. Weder Gespräche mit der Schulleitung, der Bezirksregierung und dem Integrationsbeauftragten noch die Verhängung eines Bußgeldes führten dazu, dass die Eltern ihre Kinder zum Unterricht brachten.

Das Familiengericht Paderborn entzog daraufhin im Wege der einstweiligen Anordnung den Eltern die elterliche Sorge in Schulangelegenheiten und das Recht zur Bestimmung des Wohnortes der Kinder. Es bestellte das Jugendamt der Stadt Paderborn zu deren Pfleger. Mit dessen Einwilligung brachten die Eltern die Kinder in ein Dorf in Österreich, behielten aber ihren Wohnsitz in Deutschland. Der Pfleger erwirkte in der Folgezeit, dass die Mutter den Kindern nach österreichischem Recht Hausunterricht erteilen dürfe. Seither werden die Kinder in der Alpenrepublik von ihrer pädagogisch nicht vorgebildeten Mutter unterrichtet. Im Hauptsacheverfahren bestätigte das Familiengericht seine zuvor getroffene Regelung. Die von den Eltern eingelegte Beschwerde wies das Oberlandesgericht Hamm zurück.

Im Hinblick auf den Wohnsitz der Eltern in Deutschland hat der Bundesgerichtshof die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ebenso bejaht wie die Frage, ob die Kinder weiterhin der deutschen Schulpflicht unterliegen. Der BGH bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrages diene. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich geprägten „Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setze voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten sich nicht selbst abgrenzten und einem Dialog mit Andersdenkenden verschlössen. Eine wichtige Aufgabe der Grundschule sei es, eine solche „gelebte Toleranz" einzuüben und zu praktizieren.

Der BGH sehe deshalb die beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder in die öffentliche Grundschule oder eine anerkannte Ersatzschule zu schicken, als Missbrauch der elterlichen Sorge an. „Eltern sind auch dann nicht berechtigt, ihre Kinder der Schulpflicht zu entziehen, wenn einzelne Lehrinhalte oder -methoden der Schule ihren Glaubensüberzeugungen entgegenstehen," heißt es in der Urteilsbegründung (Az: XII ZB 41/07 und 42/07 – Beschlüsse vom 11. September 2007).

Die Karlsruher Richter hoben die Bestellung des Jugendamtes Paderborn als Pfleger auf. Es habe sich „offenkundig als in diesen Fällen ungeeignet erwiesen, den Gefahren für das Kindeswohl effektiv zu begegnen". Das Verfahren wurde an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen, „damit dieses durch die Auswahl eines geeigneten Pflegers oder durch gerichtliche Weisungen sicherstellt, dass die Kinder ihrer Schulpflicht nachkommen".
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