Kirchenrechtsexperten für Reform des österreichischen Religionsrechts

Wien/Österreich | APD

Wien/Österreich, 31.10.2010/APD Juristische Kritik an dem seit 1998 in Österreich geltenden "Zweistufensystem", das den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und den religiösen Bekenntnisgemeinschaften, darunter den Freikirchen, unterschiedliche Rechte zumisst, stand im Mittelpunkt einer Tagung zum Thema "Religionsfreiheit in Österreich – Zwischen Privilegierung und Diskriminierung" im Juridicum der Universität Wien. Die Bekenntnisgemeinschaften besitzen zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch nicht die Privilegien und Pflichten anerkannter Religionsgemeinschaften, etwa im Arbeits- und Sozialrecht, im Schulwesen oder im Steuerrecht.

Zu den Veranstaltern der Tagung zählten das Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität, die Österreichische Gesellschaft für Kirchenrecht und die Österreichische Kommission "Iustitia et Pax". Verschiedene Kirchenrechtsexperten plädieren für eine Reform des derzeit gültigen staatlichen Religionsrechts. So sprach sich Rechtsanwalt Dr. Peter Krömer für eine "Anpassung" des Zweistufensystems aus, das dem europäischen Standard in der Religionsgesetzgebung nicht entspreche. Der Rechtsbeistand mehrerer Freikirchen und freikirchlicher Organisationen, der zugleich Präsident der evangelischen Synode A.B. und der Generalsynode ist, nannte zahlreiche Beispiele für gesetzliche Regelungen, die nicht gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften gegenüber den gesetzlich anerkannten benachteiligten. Der Wiener Kirchenrechtler Professor Richard Potz wies gegenüber „Kathpress“ darauf hin, dass für die Bekenntnisgemeinschaften derzeit keine faire Möglichkeit bestehe, den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu erreichen. Er kritisierte unter anderem die Mindest-Mitgliederzahl von 16.000, was zwei Promille der österreichischen Bevölkerung entspricht, die viel zu hoch angesetzt sei. Die österreichische Regelung sei auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mehrmals verurteilt worden, erinnerte Potz. Deshalb sei eine Revision des derzeitigen Gesetzes notwendig. Die anerkannten Kirchen, allen voran die römisch-katholische und die evangelische Kirche, sollten von sich aus aktiv werden und grundrechtskonforme Lösungen erarbeiten.

Die Kirchenrechtler Professor Raoul Kneucker, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht, und Professor Heinrich Schneider von "Iustitia et Pax" schlugen bei der Tagung in dieselbe Kerbe wie Professor Potz. Vor allem die in Österreich vertretenen Freikirchen fühlten sich diskriminiert, so Schneider, und diese Situation sollte für alle Kirchen Anlass sein, sich aktiv für eine Verbesserung einzusetzen.

Die Juristin Brigitte Schinkele vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht betonte, dass es für die Benachteiligung der religiösen Bekenntnisgemeinschaften in vielen Bereichen keine sachliche Rechtfertigung gebe. Grundsätzlich sei eine Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlicher Stellung und solchen mit nur privatrechtlicher Stellung ein durchaus tragfähiges Konzept. Es brauche aber rechtlich klare Regelungen hinsichtlich der Zugangsbestimmungen wie auch bezüglich der mit dem jeweiligen Status verbundenen spezifischen Rechtsfolgen.

Pastor Walter Klimt, Generalsekretär der Baptistengemeinden in Österreich, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass seine Freikirche mit weltweit rund 120 Millionen Mitgliedern zu den größten reformatorischen Kirchen der Welt gehöre. Die Baptisten seien zudem seit 141 Jahren in Österreich tätig. Trotzdem gebe es wegen der vom Staat geforderten Mitgliederzahl von mindestens 16.000 keine Chance auf den Status als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft.

Professor Karl Schwarz vom österreichischen Kultusamt schlug in seinem Votum ein Bundesgesetz über die Rechtsstellung der evangelikalen Freikirchen vor. Anknüpfungspunkte dafür seien die 1880 erfolgte gesetzliche Anerkennung der Herrnhuter Brüderkirche sowie die Anerkennung der Evangelisch-methodistischen Kirche im Jahr 1951.

Derzeit gibt es 14 anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich: römisch-katholische Kirche, evangelische Kirche A.B. und H.B., griechisch-orthodoxe Kirche, Israelitische Kultusgemeinde, Islamische Glaubensgemeinschaft, koptisch-orthodoxe Kirche, alt-katholische Kirche, methodistische Kirche, Mormonen, armenisch-apostolische Kirche, Neuapostolische Kirche, syrisch-orthodoxe Kirche, buddhistische Religionsgemeinschaft sowie Zeugen Jehovas. Als Bekenntnisgemeinschaften sind gegenwärtig unter anderem die Bahais, Baptisten, die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten und Evangelikale registriert.
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