Freikirchen und Juden im "Dritten Reich"

Ostfildern | APD

Daniel Heinz (Hg.), "Freikirchen und Juden im 'Dritten Reich'. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld", hrsg. vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, V & R unipress, Göttingen, 2011, gebunden, 343 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3-89971-690-0.

Dass die Freikirchen mit Ausnahme der Quäker zur Judenverfolgung während des Nationalsozialismus und zum Holocaust schwiegen oder gar den Antisemitismus rechtfertigten, wurde lange Zeit verdrängt. Was im "Dritten Reich" geschah, wird kaum recherchiert oder gar verschwiegen, heißt es im Vorwort von Bischöfin Rosemarie Wenner, bis Juni 2011 Präsidentin der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF). In diesem Band wird die Haltung einzelner Freikirchen gegenüber den Juden im NS-Staat mit niederschmetternden Ergebnissen untersucht. Falsch verstandener Gehorsam, irregeleitete, nationale Begeisterung, Repressionsfurcht und Resignation hinderten die Freikirchen, sich mit dem rassisch verfolgten Nachbarn, ja sogar mit dem judenchristlichen Bruder in der Gemeinde zu solidarisieren.

Der Herausgeber hat zwölf kritische Beiträge namhafter Freikirchenhistoriker zum Thema veröffentlicht und damit die Diskussion "Juden im Dritten Reich" wieder aufgenommen. Zu den Themen gehören "Heilsbringer und Verderber", freikirchliche Ansichten über Juden im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Wolfgang E. Heinrichs, "Ja-sagen zum Judentum", die Quäker und ihr Verhalten gegenüber den Juden in Deutschland von 1933-1945 (Claus Bernet), und "Minderheiten, die sich lange fremd blieben" – Mennoniten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus (Dieter Götz Lichli).

Andreas Liese hat einen großen Beitrag über "Die Juden – ein 'Fluch" für die Völker?", die Brüderbewegung und die "Judenfrage" im "Dritten Reich", verfasst und Michael Weyer das Thema "Kein Ruhmesblatt methodistischer Geschichte", die "Judenfrage" im deutschen Methodismus, behandelt. Von Gottfried Sommer stammen die Überlegungen "Alle Juden nach Ägypten!" – Heilsgeschichte als Alibi im "Dritten Reich" mit Beispielen aus der Pfingstbewegung.

Weitere Themen, wie "Wir Christen unter Zuschauern", die deutschen Baptisten und die Judenverfolgung in der Zeit der NS-Diktatur, von Andrea Strübind, "Zwischen antisemitischen Verwerfungen und heilsgeschichtlichen Perspektiven. Die Freien evangelischen Gemeinden und die Judenfrage im Nationalsozialismus", von Hartmut Weyel, "Juden gegenüber weitgehend distanziert", die Selbständigen evangelisch-lutherischen Kirchen und die Juden im "Dritten Reich", von Volker Stolle, "Ein Stachel im Herzen", der Einfluss der nationalsozialistischen Judenpolitik auf die Brüdergemeine von 1933-1945 (Dietrich Meyer), "Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in Deutschland", Siebenten-Tags-Adventisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus (Daniel Heinz), "Juden und Freikirchen in Österreich", die Haltung der Freikirchen in Österreich zur Zeit des Nationalsozialismus, dargestellt von Franz Graf-Stuhlhofer, vor allem am Beispiel der Prediger Arnold Köster (Baptist) und Hinrich Bargmann (Methodist), werden sorgfältig einer kritischen Betrachtung unterzogen.
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