Prüfungen am Samstag ein Problem für adventistische Schüler in Russland

Moskau/Russland | APD

Moskau/Russland, 29.06.2014/APD Weil sie am Ende der neunten Klasse die landesweite Abschlussprüfung in Mathematik aus religiösen Gründen am 31. Mai, einem Samstag, nicht schrieben, wurden neun Schüler, deren Eltern Mitglieder der evangelischen Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten sind, nicht in die zehnte Klasse versetzt. Adventistische Christen feiern den Samstag (Sabbat), den biblischen Ruhetag, und überlassen es ihren Jugendlichen, ob und wann sie sich durch die Erwachsenentaufe der Kirche anschließen wollen. Die Verantwortlichen der öffentlichen Schule in Belgorod/Russland, 660 Kilometer südlich von Moskau, nahe der Grenze zur Ukraine, hätten Anfragen der neun Schüler wegen Ausweichdaten schlichtweg abgelehnt, berichtete Andrew McChesney, Russland-Korrespondent von "Adventist News Network" (ANN).

Die Schulbehörden der russischen Föderation hätten zwar das Prüfungsdatum landesweit auf Samstag, 31. Mai festgelegt, aber vorhergesehen, dass Schüler aus religiösen Gründen am Samstag die Prüfung nicht zu schreiben bräuchten. Dafür habe es zwei alternative Prüfungsdaten am 16. oder 19. Juni gegeben.

Adventistische Kirchenleiter in Russland hätten nach der Verweigerung des alternativen Prüfungsdatums in Belgorod schriftlich bei den Bundesbehörden der Russischen Föderation interveniert. "Für uns ist dies eine unhaltbare Situation", schrieben sie. "Wir appellieren an die Führung der Russischen Föderation sowie auch an weitere staatliche Instanzen und religiöse Vereinigungen, alle gesetzlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Verletzung des Rechts in der Region Belgorod zu beseitigen."

Laut ANN stehe im Brief, dass die lokale Schulleitung und die zuständigen Beamten für Bildung „in grober und beleidigender Weise“ Druck auf die adventistischen Eltern ausgeübt hätten, die Kinder aufzufordern, ihrer religiösen Überzeugung abzusagen und das Examen am vorgegebenen Datum zu schreiben. Diese Vorgehensweise sei eine "Beleidigung der Gefühle der Gläubigen", heiße es in dem Brief.

Das Strafgesetz Russlands verbiete es "die Gefühle von Gläubigen zu verletzen", so ANN. Wegen dieser Anklage seien zwei Punk-Rockerinnen der „Pussy Riots Band“ verurteilt und inhaftiert worden. Laut Wikipedia hätten sie 2012 ein "Punk-Gebet" gegen die Allianz von Kirche und Staat vor dem Altar der größten russisch-orthodoxen Kirche, der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, vorgetragen. Der filmische Mitschnitt sei bei der Veröffentlichung im Internet mit einer neuen Tonspur unterlegt worden, bei der auch Präsident Putin erwähnt werde.

"Für uns ist das, was in der Region Belgorod geschehen ist, ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewissensfreiheit und des verfassungsmäßigen Rechts auf Bildung", heißt es im Schreiben an die Russische Föderation. "Selbst in der Zeit, als die Sowjetunion noch bestand und alle religiösen Organisationen verfolgt wurden, haben die Beamten Kinder religiöser Familien nicht der Möglichkeit beraubt, die Sekundarschulbildung abzuschließen."

Nach Angaben eines Briefunterzeichners hätten sich die Behörden von Belgorod am 24. Juni telefonisch gemeldet und angeboten, dass die neun Schüler das Examen im August, kurz vor Beginn des neuen Schuljahres, nachholen könnten.

Ausbildung kontra Sabbat in Russland
Seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 hätten Adventisten in Russland ihren Glauben relativ ungehindert ausleben können, so ANN. Die Einhaltung des Sabbats als biblischer Ruhetag sei aber für adventistische Schüler und Studenten immer ein Problem gewesen. Es existiere in Russland nur eine adventistische Ausbildungsstätte, die Zaoksky Adventist University, bei Tula, 180 Kilometer südlich von Moskau, auf deren Campus es auch eine Sekundarschule sowie ein Gymnasium gebe.

Sabbatproblematik in der Schweiz
Die gleiche Problematik bestehe auch für sabbathaltende Adventisten in der Schweiz. Es sei für adventistische Studenten und Arbeitnehmer schwierig, bei Lehrkräften, Schulleitungen, Universitäten und Arbeitgebern Verständnis für ihr Gewissensanliegen zu finden, betonte Pastor Herbert Bodenmann, zuständig für Außenbeziehungen und Religionsfreiheit der Siebenten-Tags-Adventisten in der Schweiz.

"Es wird versucht, auf die adventistischen Jugendlichen Einfluss zu nehmen, indem man ihnen sagt, dass ein alternativer Prüfungstermin mit immensem Aufwand verbunden sei und sie doch einmal eine Ausnahme machen könnten", so Bodenmann. Manchmal werde auch vorgeschlagen, dass ein adventistischer Pastor einen Dispens schreiben soll. "Das funktioniert bei evangelischen Christen aber nicht, denn sie haben nicht ein Problem mit ihrer Kirche, sondern mit ihrem Gewissen", betonte der Pastor, "dieses Problem ist nicht delegierbar". Adventistische Arbeitnehmende würden oft von ihren Vorgesetzten mit dem Argument unter Druck gesetzt, dass sie sich unkollegial verhielten, wenn sie bei einer ausnahmsweise angesetzten Samstagarbeit nicht erschienen.

Vor allem in den 1950er Jahren hätten adventistische Eltern in der Schweiz um die Befreiung von der Schulpflicht am Samstag für ihre Kinder gekämpft. Diese Auseinandersetzungen seien im "Memorandum zum Schutze der religiösen Minderheiten in der Schweiz" festgehalten, so Bodenmann. Es habe kantonal sehr unterschiedliche behördliche Maßnahmen gegeben. "Die Eltern sind für das Versäumen der Schulpflicht am Samstag pro Kind im Kanton Waadt mit 'milden' zwei Franken bestraft worden, in anderen Kantonen hat es aber empfindliche Bußen gegeben." Die Einführung der Fünftagewoche habe das Problem wesentlich entschärft, aber nicht beseitigt.

Sabbatproblematik in Deutschland
"Die Möglichkeit, aus religiösen Gründen am Samstag von Unterrichts- und Prüfungsveranstaltungen an öffentlichen Schulen und Hochschulen befreit zu werden, ist für Schüler und Studierende, die sich dem biblischen Gebot der Sabbatfeier verpflichtet fühlen, ein wichtiges Element der Religionsausübungsfreiheit", betonte der Leiter des Instituts für Religionsfreiheit an der adventistischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, der Jurist Dr. Harald Mueller. Es sei etwas ruhiger um diese Thematik geworden, seit in vielen Bundesländern an Samstagen kein regulärer Unterricht mehr stattfinde. Trotzdem komme es hin und wieder zu Schwierigkeiten, die in den meisten Fällen auf unterer Ebene im direkten Kontakt mit den betreffenden Lehrkräften lösbar wären. Gleichwohl solle laut Mueller nicht aus dem Blick geraten, dass eine Unterrichtsbefreiung an Samstagen kein irgendwie gearteter Gnadenakt der Unterrichtenden sei, sondern Ausfluss der in Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützten Religionsfreiheit. In einer Anzahl von Bundesländern sei eine religiös motivierte Unterrichtsbefreiung an Samstagen per Erlass, Rechtsverordnung oder sogar im Schulgesetz selbst geregelt.

"Anders als bei allgemeinbildenden Schulen ist im Hochschulbereich eine Befreiung von verpflichtenden Lehrveranstaltungen und Prüfungen an Samstagen mitunter problematisch", teilte Dr. Mueller mit. Eine Befreiungsregelung wie im schulischen Bereich gebe es für die Hochschulen nicht. Grundsätzlich sei aber davon auszugehen, dass bei rechtzeitig vorgetragenen Einzelfällen eine Klärung unter Beachtung des Grundrechts auf freie Religionsausübung herbeigeführt werden könne. In einen Beschluss vom 7. August 1984 (Az. 5 B 1257/84) habe das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zwei adventistischen Studentinnen Recht gegeben, die sich mehrfach um die Verlegung von Prüfungsterminen an Samstagen bemüht hätten. Auf die Problematik von Hochschulprüfungen an Samstagen hätte auch der Zentralrat der Juden in Deutschland 2005 die Kultusministerkonferenz aufmerksam gemacht, so Mueller. Daraufhin habe die Hochschulrektorenkonferenz in einem Schreiben vom 19. Mai 2005 die Rektoren und Präsidenten der Hochschulen in Deutschland gebeten, Studierenden jüdischen Glaubens entgegenzukommen, etwa indem das Nichterscheinen zu Prüfungen am Sabbat nicht als Fehlversuch gewertet werde oder alternative Prüfungstermine angeboten würden.
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