Überleben in der Krisenregion Ostukraine

Moskau/Russland | APD

Moskau/Russland, 31.07.2014/APD Zur Kirchenregion Ostukraine der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten zählen 3.500 Mitglieder. Mindestens 180 von ihnen sei bei der Flucht aus den Krisengebieten um die Städte Donezk und Luhansk auf deren Bitte im April geholfen worden, so die regionale Kirchenleitung. Die pro-russischen Rebellen hätten damals bei der Eroberung Angst und Schrecken verbreitet, berichtete der Russlandkorrespondent der nordamerikanischen Kirchenzeitschrift "Adventist Review" (AR).

Die meisten adventistischen Pastoren und Kirchenmitglieder seien aber vor Ort geblieben und hätten sich auch um ihre Nachbarn gekümmert. Bis jetzt seien glücklicherweise weder Kirchenmitglieder verletzt worden, noch wären – mit einer Ausnahme – keine größeren Schäden an Kirchengebäuden zu verzeichnen, sagte Pastor Guillermo Biaggi, Präsident der Euro-Asien Kirchenregion, zu welcher die Ukraine sowie zwölf andere Länder der ehemaligen Sowjetunion gehören. "Dennoch trauern wir mit den Familien, die ihre Lieben verloren haben", so Biaggi. "Wir werden weiterhin unser Bestes tun, um den Menschen im Osten der Ukraine zu helfen und für eine friedliche Lösung des Konflikts beten."

In Debalzewe, einer Kleinstadt 30 Kilometer nordöstlich von Donetsk, sei in der Nacht zum 28. Juli das Dach des adventistischen Gebetshauses von einer nicht explodierten Granate stark beschädigt worden. Die Explosion eines weiteren Geschosses in der Umgebung hätte dann alle Fenster zerstört, sodass nur noch die Mauern stünden, berichtete die adventistische Kirchenleitung in der Ostukraine.

Mit der Intensivierung der Kämpfe um Donezk, dem Zentrum der Kohleregion Donbass, habe die lokale Kirchenleitung weiteren 30 Mitgliedern mit dem Kauf von Fahrkarten oder mit anderen Transportmitteln bei der Evakuierung geholfen. Weiteren seien Unterkünfte in adventistischen Kirchen oder bei Familien in der Ukraine sowie in Russland vermittelt worden. Schon früher wären 45 Kinder und neun Erwachsene für 20 Tage in einem adventistischen Sanatorium in der Region Dnipropetrovsk untergebracht worden, das westlich der Krisenregion liegt.

Obwohl die Umstände in der Ostukraine schwierig seien, erlebten die Adventisten auch viel Gutes, berichteten deren Pastoren. Es gebe teilweise tägliche Gebetstreffen. Kirchenmitglieder seien offener und verständnisvoller für die Bedürfnisse anderer geworden und unterstützten sowie ermutigten sich gegenseitig. Sie seien auch für Gott und sein Wort empfänglicher. Zum Gottesdienst am Samstag erschienen Mitglieder, die längere Zeit nicht mehr teilgenommen hätten, aber auch neue Besucher.

Die Kirche habe nicht die finanziellen Mittel, um die in der Krise rasant gewachsenen Ausgaben für Hilfskosten zu decken, hieß es in einem Email der ostukrainischen Kirchenleitung, aber die Spenden der Mitglieder seien trotz ihrer mageren Einkünfte in jeder Kampfphase großzügiger geworden. Als die Regierung den Adventisten in Kramatorsk und Slowjansk die Renten nicht auszahlen konnte, wäre die Kirche mit 100.000 Griwna (6.044 Euro) zur Überbrückung eingesprungen.

Wovor hast du Angst?
Vor der Rückeroberung durch die ukrainische Zentralregierung hätten sie in Kramatorsk jeden Sabbat (Samstag) während der Besatzung durch pro-russische Rebellen mit 25 Personen den Gottesdienst gefeiert, erzählte Olga, eine Adventistin. An einem Samstagmorgen hätte sie Angst gehabt, zum Gottesdienst zu gehen. Als sie das ihrem Mann sagte, der kein Adventist sei, habe er zurückgefragt: "Du hast doch zu Gott gebetet. Wovor hast du Angst?" Darauf sei sie in die Kirche gegangen.

Alptraumhaftes Dasein
In Kramatorsk und Slowjansk wäre das Leben nach der Rückeroberung durch die Zentralregierung wieder "normal", berichteten Kirchenmitglieder. Sie würden aber ihr teils tagelanges, alptraumhaftes Dasein in den Kellergewölben ohne Strom, Gas und Wasser nicht so schnell vergessen.

Grelle Explosionen
Ein Mitglied der Kirche in Slowjansk erzählte gegenüber AR, wie es kurz vor der Rückeroberung durch die ukrainischen Streitkräfte in seinem Gemüsegarten das Pfeifen eines anfliegenden Geschosses vernommen habe. Darauf hätte der Mann sich reflexartig hinter einem Schuppen versteckt und eine grelle Explosion gesehen. Die Stelle, an der er noch unmittelbar zuvor gestanden habe, sei zerstört gewesen.

Gewehrläufe auf Brust oder Kopf
Pastor Lev P. Vertylo, Präsident der ostukrainischen Adventisten, musste bei einer Pastoralreise zum Besuch einiger Kirchen seiner Region 16 Checkpoints passieren. An zehn der Kontrollen habe ihm jeweils ein Bewaffneter den Gewehrlauf auf die Brust gerichtet und einmal auf den Kopf. Dabei hätte man Geld sowie Waffen von ihm gefordert.

Zivilcourage
Beim Versuch bewaffneter Rebellen, das Auto eines adventistischen Pastors in Donezk zu beschlagnahmen und die Nummernschilder zu beseitigen, hätten Passanten eingegriffen und von Bewaffneten verlangt, dass sie davon ablassen sollten, was diese widerwillig getan hätten.

Widerstand
Der 32-jährige Neffe eines Adventisten in Kramatorsk habe den Rebellen, die in einer Nacht sein Auto entwenden wollten, Widerstand geleistet. Ihm sei sowohl in die Brust als auch in jedes Bein geschossen worden. Mangels Transportmitteln sei er verblutet, so AR.

Die Adventisten in der Ostukraine wären Gott dankbar für die Kraft, die sie aus ihrem Glauben schöpften, sagte Pastor Guillermo Biaggi. Sie würden weiterhin jene unterstützen, die litten, und beteten mehr als je zuvor, auch für jene Bewaffneten, die über Teile der östlichen Ukraine Macht hätten.

Adventisten in der Ukraine
In der Ukraine mit 45,5 Millionen Einwohnern, feiern 51.900 erwachsen getaufte Adventisten in 899 Kirchen jeden Samstag, dem biblischen Ruhetag, ihren Gottesdienst. Sie unterhalten eine Höhere Fachschule, eine Klinik, ein Sanatorium, ein Medienzentrum, ein TV-Studio sowie einen Verlag.
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