"Wer in Glaubensfragen Gewalt anwendet, kann niemals im Recht sein"

Kaub am Rhein | APD

Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung in Kaub am Rhein

Kaub am Rhein, 14.10.2014/APD Vom 11. bis 12. Oktober fand die diesjährige Herbsttagung des Vereins für Freikirchenforschung (VFF) in Kaub am Rhein statt. Sie widmete sich dem Thema "Die Freikirchen zwischen politischer Duldung und religiöser Freiheit". Elf Fachreferenten beleuchteten schlaglichtartig Aspekte der Freikirchengeschichte im Spannungsfeld von Intoleranz, Toleranz und Religionsfreiheit.

In der Geschichtsschreibung der evangelischen Freikirchen spielten die Themen Toleranz und Religionsfreiheit eine bedeutende Rolle, teilte Dr. Thomas Hahn-Bruckart, 2. Vorsitzende des VFF, mit. Vor allem die Erfahrungen staatlicher und kirchlicher Repressionen seien für religiöse Minderheiten in Europa bis ins 20. Jahrhundert hinein prägend gewesen.

Professor Dr. Erich Geldbach (Marburg) ging in seinem Eröffnungsreferat dem Thema "(In)Toleranz und Religionsfreiheit in der Geschichte der Freikirchen" nach. Anhand verschiedener Beispiele zeichnete er eine Entwicklung nach, in der auch die Toleranzbemühungen von Oliver Cromwell, John Locke und William Penn gewürdigt wurden. Einprägsam auch die Aussage: "Wer in Glaubensfragen Gewalt anwendet, kann niemals im Recht sein."

Das Referat von Dr. Thomas Hahn-Bruckart (Mainz) beschäftigte sich mit der "(In)Toleranz bei Martin Luther". Dabei beleuchtete er Luthers Auseinandersetzung mit anderen reformatorischen Strömungen, die nicht seiner Auffassung entsprachen. Von Luther gebrauchte Kampfnamen, wie zum Beispiel "Schwärmer", hätten sich immer weiter ausgeweitet und dadurch unterschiedliche Personen und Gruppen diffamiert. Der Begriff des "Schwärmers" sei im Luthertum in den folgenden Jahrhunderten auf verschiedene religiöse Phänomene angewendet worden. Dadurch hätten sich Schlagworte und Diffamierungen durchsetzen können.

Dr. Astrid von Schlachta (Regensburg) sprach über "(In)Toleranz und Gewissensfreiheit als Themen und Erfahrungswelten des frühneuzeitlichen Täufertums". Täufer hätten sehr wohl einen Einfluss auf die Toleranzdiskussion gehabt, und bei ihnen fänden sich auch frühe Ausdrucksformen von Religionsfreiheit. Gleichwohl lasse sich aber auch beobachten, dass sie Gleichgesinnten das wahre Täufertum abgesprochen hätten.

Dr. Hedwig Richter (Greifswald) befasste sich mit der Herrnhuter Brüderunität im 19. und 20. Jahrhundert. Ihre These: "Die Theologie der Brüderunität passte sich den jeweiligen Gegebenheiten an." Jede Anpassung hätte mit Traditionen legitimiert werden können. Der Brüdergemeine sei es vorrangig um das Überleben gegangen. Disziplinarische Maßnahmen (Kirchen-/Gemeindezucht) oder dogmatische Lehrsätze seien zweitrangig gewesen. Die verstärkte Flexibilität der Herrnhuter hätte sich auch in Anpassungen während der NS-Zeit und der DDR-Geschichte gezeigt.

Dass es bis in die jüngere Vergangenheit hinein Auseinandersetzungen um freikirchliche Bestattungen auf landeskirchlichen Friedhöfen gab, zeigte Pastor Karl Heinz Voigt (Bremen) anhand ausgewählter Beispiele auf. Verstorbenen, die Freikirchen angehörten, sei von den Staatskirchen oft eine reguläre Bestattungszeremonie verweigert worden. "Friedhofsstreitigkeiten" hätten teilweise Formen angenommen, deren man sich heute nur schämen könne.

Kritische Beobachtungen und Erwägungen zum Themenjahr der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Reformationsdekade stellte Dr. Walter Fleischmann-Bisten (Bensheim) an. Es fehle die Mitgestaltungsmöglichkeit von Freikirchen. Das Reformationsverständnis der EKD müsse um die täuferische Tradition, dem sogenannten "linken Flügel der Reformation", erweitert werden.

Professorin Dr. Andrea Strübind (Oldenburg) beleuchtete die "Freiheit" der Freikirchen in der DDR im Spannungsfeld zwischen Loyalität, Instrumentalisierung und Resistenz. Dabei zeigte sie auf, dass die Kirchen aus der Sicht des SED-Staates ein Fremdkörper waren, der aus der Gesellschaft verdrängt werden sollte. Die Politik gegenüber den Freikirchen sei ebenfalls von der Kirchenpolitik gegenüber den beiden großen Kirchen abgeleitet gewesen. Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR habe Religionsfreiheit lediglich für sich selbst in Anspruch genommen, nicht aber als ein für andere zu erringendes Gut gesehen. In dieser Entwicklung stelle die Erklärung des Freikirchenrats der Vereinigung evangelischer Freikirchen in der DDR vom 18. Oktober 1989 eine Zäsur, einen Meilenstein, dar. Die Erklärung schlösse nämlich eine aktive Mitgestaltung der Gesellschaft durch die Freikirchen ein und beklage die Versuchung zur Anpassung.

Pastor Peter Muttersbach (Schöningen) befasste sich in seinem Referat mit der Rechtslage und Rechtspraxis zum Kirchenaustritt und Taufzwang im Herzogtum Braunschweig. Generell richtete sich sein Fokus auf das 19. Jahrhundert, speziell kamen die 1850er Jahre in den Blick. Nach den von Muttersbach untersuchten Vorfällen wären die damals von der Landeskirche durchgeführten Zwangstaufen von Kindern freikirchlicher Mitglieder nicht nur aus heutiger Sicht rechtswidrig gewesen, sondern hätten bereits in ihrer Zeit gegen geltende Freiheitsrechte verstoßen.

Einblick in Kirchenstrukturen gaben die Referate von Dr. Lothar Weiß (Frechen), Professor Dr. Wolfgang Heinrichs (Wuppertal) und Pastor Hartmut Weyel (Brühl). Es ging um Lebensordnung und Kirchenzucht in der altpreußischen evangelischen Landeskirche, beziehungsweise um Theorie und Praxis der Gemeindezucht in der Geschichte der Freien evangelischen Gemeinden. "Man sah den Ausschluss als Heilmittel, nicht als Abschneiden des Heils an", so Heinrichs. Ziel sei die Rückgewinnung der unter Gemeindezucht Gestellen gewesen.

Der VFF wurde im Jahr 1990 von Theologen und Historiker aus verschiedenen Freikirchen gegründet. Theologische und kirchengeschichtliche Fragen sollen wissenschaftlich aus freikirchlichen Blickwinkeln beleuchtet werden. Darüber hinaus möchte der Verein Freikirchen bei der sachgerechten Archivierung von Quellenmaterial und beim Auf- und Ausbau von Archiven unterstützen. Die in Kaub gehaltenen Referate werden im VFF-Jahrbuch dokumentiert, das 2015 erscheinen soll.
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