Bei Kirchenwechsel Menschen mit Achtung ihrer Entscheidung begleiten

Höchst im Odenwald | APD

Mit der Frage „Kirchenwechsel – Tabuthema der Ökumene?“ befasste sich die Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung (VFF) am 28. und 29. März im Kloster Höchst im Odenwald. In einer pluralistischen Gesellschaft lässt die Bindungskraft an eine bestimme Organisation nach. Davon sind auch die Kirchen betroffen, wenn sich deren Mitglieder für eine konfessionelle Neuorientierung entscheiden. Bei der Tagung kamen unterschiedliche theologischen Positionen sowie historische, seelsorgerliche und kirchenrechtliche Aspekte zur Sprache.

In seiner Einführung zur Thematik wies der Vorsitzende des VFF, Professor Dr. Christoph Raedel, Gießen, darauf hin, dass es auch im Bereich freikirchlicher Gemeinden einen zunehmenden Bindungsverlust gebe. Gerade junge Christen würden sich bei einem Ortswechsel nach einer neuen Gemeinde umsehen. Man suche nach der Gemeinde, die zu einem passe und in der man sich mit seinen Bedürfnissen, Ansprüchen und Begabungen heimisch fühle. Dabei sei die bisherige konfessionelle Zugehörigkeit nahezu unerheblich. Es gebe aber auch den bewussten Bruch mit der bisherigen Konfession, einschließlich der Aufnahme in eine andere Kirche, in der man seinen Glauben besser verwirklichen könne.

Handreichung der ACK Bayern
Die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Bayern, Dr. Maria Stettner, stellte die Handreichung der ACK „Seelsorgerlicher Umgang mit dem Wunsch nach Konfessionswechsel“ aus dem Jahr 2010 vor. In der Handhabung der Mitgliedschaft einschließlich eines Wechsels in eine andere Kirche werde das Selbstverständnis der jeweiligen Konfession deutlich. So könne man sich beispielsweise durch einen standesamtlichen Austritt von der römisch-katholischen Kirche trennen, bleibe aber aufgrund der Taufe kirchenrechtlich Glied der Katholischen Kirche. Da auch Taufen anderer Kirchen anerkannt würden, sei der Wechsel eines Angehörigen einer anderen Konfession zur Katholischen Kirche kein Übertritt von einer Kirche in die andere. Es gehe dabei vielmehr um die Eingliederung in den „Leib Christi“, der sich in der römisch-katholischen Kirche verwirkliche. Methodisten verstünden dagegen einen Konfessionswechsel nicht als Bruch mit der Kirche Jesu Christi, sondern als „Neu-Organisation“ der Christus- und Kirchengemeinschaft.

In der Handreichung gehe es nicht darum, Menschen zum Übertritt zu ermutigen, so Stettner. Wenn dieser Wunsch ausdrücklich geäußert werde, sollten Menschen seelsorgerlich und mit Achtung vor ihrer Entscheidung und vor den Mitchristen anderer Konfessionen begleitet werden. Die Broschüre ist kostenlos bei der Geschäftsstelle der ACK Bayern erhältlich. E-Mail: kontakt@ack-bayern.de

Kirchenwechsel und Staatskirchenrecht
Professor Dr. Gerhard Robbers, Justizminister von Rheinland-Pfalz, sprach über „Kirchenwechsel in staatskirchenrechtlicher Perspektive“. Der Kirchenwechsel mag für die Konfessionen zwar ein Problem sein, es gehe dabei aber um eine individuelle Glaubensentscheidung. Artikel 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland garantiere „die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“. Dazu gehöre auch das Recht seine bisherige Konfession zu verlassen. Ein Kirchenwechsel müsse deshalb immer möglich sein. Bei bestimmten öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften muss der Kirchenaustritt vor dem Amtsgericht oder dem Standesamt erklärt werden.

Ein Blick in die Vergangenheit
Der Freikirchenhistoriker Karl Heinz Voigt, Bremen, gab einen Einblick in die „Polemik und Apologetik im Verhältnis zwischen Methodistenkirche und Landeskirche im 19. Jahrhundert“. Im vorletzten Jahrhundert seien etwa fünf Millionen Deutsche in die USA ausgewandert. Dort hätten sich jedoch meistens nur die Methodisten um die Einwanderer gekümmert, sodass es unter ihnen schließlich viel mehr Methodisten gegeben habe, als später in Deutschland. Ab 1850 kamen zahlreiche Methodisten nach Deutschland zurück, um als Erweckungsprediger die „Dankesschuld wegen des Geschenks der Reformation abzutragen“. Sie wollten gemeinsam mit den evangelischen Landeskirchen „Gottes Reich“ in Deutschland aufbauen. Doch die Staatskirchen hätten dieses Anliegen nicht verstanden und meinten keine Hilfe aus Übersee zu benötigen. So habe es viele polemische Massenverteilblätter und Zeitungsartikel gegen die Methodisten gegeben. Die Polizei sei in deren Versammlungen eingedrungen und Randalierer hätten die Fensterscheiben der Versammlungsstätten eingeschlagen. Vorladung zu den Behörden und ständige Diskriminierung der Methodisten wären damals „normal“ gewesen, so Voigt.

Eine Wechselgeschichte
Jochen Roth aus Lehrte/Niedersachsen schilderte, warum er in Hochspeyer als Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz seine Kirche verließ, um sich der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) anzuschließen. Er betreut seitdem als Pfarrer zwei SELK-Kirchengemeinden in der Nähe von Hannover.

Loslassen, um Neues zu erfassen
Ob „jeder Wechsel ein neuer Anfang“ sei, fragte der Pädagoge Reinhold Bühne, Rotenburg/Wümme, in seinem Referat über erziehungswissenschaftliche und biografische Aspekte eines Kirchenwechsels. Der Referent hatte selbst einen Kirchenwechsel von der „Exklusiven Versammlung der Brüderbewegung“ („geschlossene Brüder“) zur Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers erlebt, sodass er sich seitdem in deren Gemeinde in Rotenburg engagiere. Laut Bühne sei ein Kirchenwechsel häufig durch einen Ortswechsel motiviert. Solch ein Wechsel erfolge oft in kleinen Entwicklungsschritten, bis er „ganz“ vollzogen sei. Ein Gemeindewechsel könne aber auch dadurch verursacht werden, dass sich eine Gemeinde verändert. Deshalb stelle sich auch die Frage: „Wie können wir unsere Mitglieder zum Bleiben motivieren?“ Wer die Veränderung konstruktiv gestalte, könne dabei gewinnen. „Wer loslassen kann, kann Neues erfassen“, behauptete Bühne.

Um die religionssoziologische Perspektive ging es Professor Dr. Jörg Stolz, Lausanne. Er stellte Forschungsergebnisse hinsichtlich der „Einstellung zu Kirchen und Kirchenwechsel im Milieu evangelischer Freikirchen in der Schweiz“ vor.

Der Verein für Freikirchenforschung VFF wurde 1990 von Theologen und Historikern aus verschiedenen Freikirchen gegründet. Theologische und kirchengeschichtliche Fragen sollen wissenschaftlich aus freikirchlichem Blickwinkel beleuchtet werden. Darüber hinaus möchte der Verein Freikirchen bei der sachgerechten Archivierung von Quellenmaterial und beim Auf- und Ausbau von Archiven unterstützen. Die in Höchst gehaltenen Referate werden im VFF-Jahrbuch dokumentiert, das 2016 erscheinen soll.

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