„Sommerloch“ dämpft Debatte zum „Weißbuch“ der Bundeswehr

Berlin | APD

„Zu viel Sicherheit, zu wenig Frieden“ ist das Fazit des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms (Bremen), und des Militärbischofs der EKD, Sigurd Rink (Berlin), zum „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“.

Grundanliegen evangelischer Ethik mit berücksichtigt
Brahms würdigte in einem Pressegespräch am 8. September in Berlin, dass das Weißbuch in einem breit angelegten Diskussionsprozess entstanden sei. Auch die EKD habe sich mit ihren Einrichtungen an diesem Prozess beteiligt. Das Weißbuch biete nun eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Perspektiven. Sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte seien ebenso berücksichtigt wie der Reviewprozess des Auswärtigen Amtes und Beiträge aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Auch Grundanliegen evangelischer Ethik wären mit gehört worden, etwa in der Orientierung an der internationalen Rechtsordnung und der Ausrichtung auf nachhaltige Entwicklung. Die Breite der Analyse und die Weite des Horizonts wären beeindruckend und zukunftsweisend.

Der Friedensbeauftragte kritisierte allerdings den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Als das Weißbuch am 13. Juli vorgestellt wurde, war gerade die parlamentarische Sommerpause. Daher sei es bisher nicht zu einer breiten Debatte über das Weißbuch in Parlament und Gesellschaft gekommen.

Mehr Geld nur für die Bundeswehr
Die Bedrohung für den Frieden wachse, so Brahms. Ziele und Mittel, Möglichkeiten und Grenzen des außen- und sicherheitspolitischen Handelns müssten deshalb neu ausgerichtet werden. Dabei falle allerdings auf, dass im Weißbuch der Leitbegriff „Friede“ relativ selten vorkomme. Stattdessen dominierten die Begrifflichkeiten von „Bedrohung“, „Sicherheit“ und „Resilienz“. Die Bundeswehr sei nach dem Grundansatz des Weißbuchs nur eines von vielen möglichen Instrumenten um Gewalt zu vermeiden, einzudämmen und zu beenden. Doch wenn es dann im Weißbuch um eine Trendwende in der Bundeswehr durch mehr Personal, bessere Ausrüstung und mehr finanzielle Ausstattung gehe, entstehe der Eindruck, dass im Zweifelsfall die Bundeswehr das vorrangige Instrument deutscher Sicherheitspolitik sei.

Am deutlichsten werde das durch die Forderung einer langfristigen Erhöhung des Verteidigungsetats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Nichtmilitärische Instrumentarien, die angeblich prioritär seien, würden aber nicht in gleicher Weise finanziell gestärkt. Gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland seit vielen Jahren die Selbstverpflichtung verfehle, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, sei die konzeptionelle und finanzielle Konzentration auf die militärischen Instrumente kritisch zu bewerten.

Keine Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt
Zwar sage das Weißbuch, dass Krisenprävention grundsätzlich den Vorrang habe. Es fehle aber die deutliche Aussage, dass die Androhung und Ausübung militärischer Gewalt immer nur äußerste Möglichkeit sein könnten, gab der Friedensbeauftragte zu bedenken. Das Weißbuch lasse offen, wann und in welchen Fällen die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt als „ultima ratio“ gerechtfertigt seien. Es fehlten klare und orientierungsfähige Kriterien für den Einsatz militärischer Gewalt.

Bei militärischer Gewalt hat die Politik versagt
Die Bundeswehr werde in erster Linie als „Instrument deutscher Sicherheitspolitik“ betrachtet, hob der evangelische Militärbischof Sigurd Rink hervor. Dabei gerieten allzu schnell die Menschen aus dem Blick, die unter Gewalt leiden und unter Gewaltverhältnissen leben und handeln müssen. Krieg und Konflikte konfrontierten Menschen mit elementaren und extremen Bedrohungen, bis hin zu Traumata und Tod. Evangelische Friedensethik rücke diese Aspekte militärischer Einsätze in den Fokus der Rechenschaft, die politisches und militärisches Handeln zu geben hätten. Der Einsatz militärischer Gewalt sei immer ein Zeichen des Versagens politischen Handelns.

Schwachpunkt Rüstungskontrolle
Der Militärbischof wies darauf hin, dass das Weißbuch zwar eine wirksame Rüstungskontrolle unterstütze, andererseits aber die Stärkung der deutschen und europäischen Verteidigungsindustrie fordere. Es befürworte den Export von Kriegswaffen an sogenannte Drittstaaten aus, wenn „im Einzelfall … besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen“ dafür sprechen. So entstehe der Eindruck, dass deutsche Politik sich alle Optionen für einen ungehinderten Rüstungsexport offen lasse. Um diesem Eindruck zu wehren, wäre es aus Sicht evangelischer Friedensethik entscheidend, dass Kriterien genannt würden, ob und wann ein solcher Rüstungsexport zu rechtfertigen wäre.

Es sei daher in Deutschland auf breiter Basis eine Debatte darüber nötig, welche politischen Konzepte in Fragen von Frieden und Sicherheit zukunftsweisend sind, so Rink. Dabei sollten nicht nur die Impulse des Weißbuches für die Zukunft der Bundeswehr bedacht werden, sondern in gleicher Intensität auch die nichtmilitärischen Instrumente deutscher Friedenspolitik im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

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