Kein Asyl in Deutschland für amerikanischen Kriegsdienstverweigerer

München | APD

Mit Urteil vom 16. November hat es die 25. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts München abgelehnt, den US-Deserteur André Lawrence Shepherd als Flüchtling anzuerkennen (M 25 K 15.31291). In einer fünfstündigen Verhandlung überprüfte das Verwaltungsgericht unter Beachtung eines Grundsatzentscheids des Europäischen Gerichtshofes vom 26.2.2015 den Fall.

Bereits 2007 desertiert
Der ehemalige US-Soldat Shepherd hatte sich 2007 durch Desertion aus der Kaserne Katterbach bei Ansbach einem Einsatzbefehl als Hubschraubermechaniker für den Irak entzogen. Er befürchtete, unterstützend an Kriegsverbrechen der US-Armee beteiligt zu sein. Darum beantragte er 2008 Asyl in Deutschland, was vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt wurde. Gegen diese Entscheidung klagte er vor dem Verwaltungsgericht in München, welches das Verfahren zunächst aussetzte, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) im vergangenen Jahr entschied, dass die Entscheidung über den Asylantrag bei den deutschen Behörden und Gerichten liege.

Gericht für die Bewertung des Irakkriegs nicht zuständig
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts wäre die Desertion des Klägers nicht das letzte Mittel gewesen, um seine befürchtete Beteiligung an Kriegsverbrechen im Irak zu vermeiden. In einer Pressemitteilung der Kammer heißt es, der Kläger habe sich trotz vorgetragener erheblicher und langjähriger Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einsatzes der US-Streitkräfte im Irak bis zum April 2007 nicht ernsthaft mit der Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung beschäftigt. Auch habe er sonst keine Versuche unternommen, etwa in eine andere Einheit versetzt oder aus den Streitkräften entlassen zu werden. Zudem hätte der Kläger nach Ansicht des Gerichts nicht glaubhaft machen können, dass er bei seinem konkreten weiteren Einsatz im Irak mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit mit seiner Einheit in die Begehung von Kriegsverbrechen verwickelt worden wäre. Das Verwaltungsgericht habe in diesem Verfahren weder klären müssen, ob der Einmarsch der Koalitionstruppen im Jahr 2003 in den Irak völkerrechtswidrig war, noch, ob die Koalitionstruppen, insbesondere die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, Kriegsverbrechen im Irak begingen.

Kläger darf in Deutschland bleiben
Der jetzt 39-Jährige dürfe aber weiterhin in Deutschland bleiben, denn er habe eine von einem Asylantrag unabhängige Niederlassungserlaubnis, so sein Anwalt Reinhard Marx. André Shepherd wird von dem in Offenbach ansässigen Verein „Connection“ (www.connection-ev.org), der sich international für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt, schon seit Jahren begleitet. Zudem wird er aus dem Rechtsmittelfonds der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ unterstützt.

Kritik am Urteil
Beide Organisationen kritisierten das Urteil in einer Medienmitteilung. Es habe sich herausgestellt, dass die fünfköpfige Kammer sich einzig und allein auf die Glaubhaftigkeit des Klägers konzentrierte, Sachverhalte abfragte, die bis zu zwölf Jahre zurückliegen und meinte, das Gewissen des Klägers zu jeder Zeit „messerscharf prüfen“ zu können. Einerseits sei vom Kläger erwartet worden, dass er seine Sicht aus damaliger Situation heraus schildere, andererseits habe das Gericht die von ihm damals getroffenen Entscheidungen aus heutiger Sicht bewertet.

„Würde man den Maßstab des Gerichts anlegen, müsste ein Verweigerer eines völkerrechtswidrigen Krieges oder von völkerrechtswidrigen Handlungen von Anfang an völlig stringent und kompromisslos vorgehen“, beklagte Bernd Mesovic von „Pro Asyl“. Dass sich eine Gewissensentscheidung über längere Zeiträume entwickle, hätte in der Logik des Verwaltungsgerichts keinen Platz gehabt.

„Die Verhandlungsführung war von Voreingenommenheit geprägt“, meinte Rudi Friedrich von Connection e. V. Als Beobachter habe er den Eindruck gehabt, dass die Kammer die Entscheidung und den Asylantrag von André Shepherd völlig abgelöst von der Realität des Krieges im Irak sehen wollte. Der Betroffene sagte nach dem Urteil: „Ich habe von Anfang an umfassend alle wesentlichen Sachverhalte dargestellt. Ich hätte mir gewünscht, das Gericht hätte den schwierigen Weg innerhalb des US-Militärs, eine meinem Gewissen entsprechende Haltung herauszubilden, gewürdigt.“

Anwalt will in Berufung gehen
„Eigentlich hat das Gericht nur einen Satz im Urteil des Europäischen Gerichtshofes zugrunde gelegt, in dem darauf abgestellt wird, dass hohe Maßstäbe bei Asylanträgen von Soldaten angenommen werden müssten, wenn Sie sich freiwillig zum Militär melden“, erklärte Rechtsanwalt Reinhard Marx im Anschluss an die Anhörung. „So eng interpretiert hätte damit kein Berufssoldat jemals eine Chance Asyl zu erhalten.“ Gegen das Urteil kann der unterlegene Kläger innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der vollständigen Entscheidungsgründe beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München die Zulassung der Berufung beantragen. Rechtsanwalt Marx machte deutlich, dass er für seinen Mandanten eine Berufungsklage vorbereiten werde.

Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht
„Ich hätte es begrüßt, wenn das Gericht im Verfahren andere Schwerpunkte gesetzt und stärker die Glaubens- und Gewissensfreiheit jedes Menschen unterstrichen hätte“, sagte auch Wolfgang Burggraf, Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK), der als Prozessbeobachter in München war. Es müsse möglich sein, dass Soldatinnen und Soldaten jederzeit einen Einsatz aus Gewissensgründen verweigern könnten. Er hoffe, dass dies in der nächsten Instanz gewürdigt werde. Denn solche Entscheidungen wie eine Kriegsdienstverweigerung oder sogar eine Desertion als letztes Mittel seien mutige persönliche Schritte aus Gewissensnot, die es zu achten gelte. „Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht“, betonte Burggraf.

US-Streitkräfte gehen hart mit Kriegsdienstverweigerern um
Holger Teubert, Leiter des Referats für Kriegsdienstverweigerung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland, wies darauf hin, dass es in den US-Streitkräften kaum Verständnis für Kriegsdienstverweigerer in ihren Reihen gebe. Da in den Vereinigten Staaten die Wehrpflicht schon seit langem ausgesetzt ist, dienen dort nur Freiwillige als Soldaten und Soldinnen. Von ihnen werde daher erwartet, dass sie gegebene Befehle auch befolgen.

Teubert erinnerte dabei an den adventistischen Marineinfanteristen Joel David Klimkewicz. Er war bereits von 1999 bis 2002 Soldat und verpflichtete sich anschließend für weitere zwei Jahre, sodass er zum Corporal (Unteroffizier) befördert wurde. Während dieser Zeit besuchte er an Bord eines Kriegsschiffes die Bibelstunden eines Militärgeistlichen der Siebenten-Tags-Adventisten und schloss sich im Oktober 2002 nach seiner Neuverpflichtung der Freikirche an. Erst allmählich sei ihm bewusst geworden, dass er als Christ keine Waffe in die Hand nehmen könne. Daraufhin teilte er seinen Vorgesetzten mit, dass er ohne Waffe in der Armee dienen wolle. Um zu beweisen, dass er kein Feigling oder Drückeberger sei, meldete er sich zweimal vergeblich zu einem Einsatz im Irak, um dort freiwillig Landminen zu räumen; ein Dienst, bei dem er kein Gewehr hätte tragen müssen.

Doch die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurde im März 2004 abgelehnt. Der Kommandeur des zweiten Pionierbataillons der zweiten US-Marinedivision befahl ihm im Mai 2004 die Teilnahme an einer Waffenausbildung zur Vorbereitung auf einen Irakeinsatz. Nach zweimaliger Befehlsverweigerung wurde Klimkewicz abgeführt und im Dezember 2004 vor ein Militärgericht des Marinekorps im US-Stützpunkt Camp Lejeune, North Carolina/USA, gestellt. Das Gericht degradierte den Unteroffizier zum Gefreiten, verurteilte ihn zu sieben Monaten Gefängnis und verfügte, dass er nach der Haft unehrenhaft aus dem Marinekorps entlassen wird.

Da gegen das Urteil verschiedene Widerspruchsverfahren liefen, kam Klimkewicz bereits am 6. April 2005 vorzeitig aus der Haft frei und wurde unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. Im Gefängnis erhielt Klimkewicz keinen Sold, sodass er seine japanische Frau Tomomi und seine damals dreijährige Tochter nicht finanziell unterstützen konnte. Mitglieder der adventistischen Gemeinde in Jacksonville/North Carolina, zu welcher der Verurteilte gehörte, kümmerten sich um die Familie. Erst im Mai 2007 erfuhr Klimkewicz für seine Gewissensentscheidung Anerkennung, indem ein Gericht seine unehrenhafte Entlassung aus der Armee in eine ehrenhafte umwandelte. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis begann Joel David Klimkewicz mit einem Theologiestudium. Er ist inzwischen ordinierter Pastor der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in den USA und promoviert gegenwärtig in Theologie.

Der Fall Klimkewicz sei durch die Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten weltweit bekannt gemacht worden. Viele Adventisten bekundeten ihm ihre Solidarität und beteten für ihn, so Teubert. Unterstützung erhielt er auch durch das Rechtsberatungsbüro der Generalkonferenz, das einen Prozessbeobachter entsandte, und durch Adventist Chaplaincy Ministries der Weltkirchenleitung zu deren Aufgaben auch die Militärseelsorge gehört. Nach der Verurteilung hatten sich ebenfalls die beiden republikanischen Kongressabgeordneten Dale E. Kildee (Michigan) und Roscoe G. Bartlett (Maryland), die selbst Siebenten-Tags-Adventisten sind, für Klimkewicz eingesetzt.

Das Beispiel zeige laut Teubert, dass es für Militärangehörige in den US-Streitkräften sehr schwer sei mit ihrer Gewissensentscheidung, keine Waffe mehr in die Hand zu nehmen, erstgenommen zu werden. Durch ihren freiwilligen Eintritt in die Armee werde ihnen stattdessen Feigheit unterstellt. Man gehe hart mit ihnen um, damit anderen Soldaten und Soldatinnen klar werde, dass man sich durch Kriegsdienstverweigerung nicht einfach einem Einsatz entziehen könne.

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