Baptisten sollen sich mit der sozialethischen Dimension des Evangeliums beschäftigen

Walter Rauschenbusch

© Foto: Stadtarchiv Gütersloh

Baptisten sollen sich mit der sozialethischen Dimension des Evangeliums beschäftigen

Elstal bei Potsdam | APD

Zum 100. Todestag von Walter Rauschenbusch Die Leitung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) hat anlässlich des 100. Todestages des baptistischen Theologen Walter Rauschenbusch ihre Kirchengemeinden dazu aufgerufen, sich verstärkt mit der sozialethischen Dimension des Evangeliums zu beschäftigen. „Frieden und Gerechtigkeit zu suchen gehört heute wie vor hundert Jahren zu den vordringlichen Aufgaben der Kirche“, so die Verantwortungsträger.

Präsidium und Bundesgeschäftsführung der Freikirche beschreiben den deutsch-amerikanischen Rauschenbusch, der am 25. Juli 1918 starb, in einer am 16. Juli 2018 veröffentlichten Stellungnahme als „eine der prägenden Gestalten des Baptismus, dessen theologisches Erbe noch heute Beachtung findet.“

Rauschenbuschs Sozialtheologie prägte auch Martin Luther King
Zusammen mit dem Aufruf hat der BEFG einen Text von Dr. Ralf Dziewas herausgegeben. Darin würdigt der Professor für Diakoniewissenschaft und Sozialtheologie an der Theologischen Hochschule des BEFG in Elstal bei Potsdam das Wirken Rauschenbuschs: „Er war einer der prägenden Theologen der Social-Gospel-Bewegung. Seine Sozialtheologie hat nachfolgende Generationen bis hin zu Martin Luther King entscheidend geprägt.“ Dziewas kommt zu dem Schluss, angesichts der aktuellen Fragen nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung böten Rauschenbuschs Schriften anregende Impulse, die soziale Verantwortung des christlichen Glaubens neu zu bedenken: „Das Reich Gottes ist keine Vertröstung für das Jenseits. Das Reich Gottes ist dort im Anbruch, wo diese Welt hin zu mehr Gerechtigkeit verändert wird. Diese Einsicht ist eines der Vermächtnisse, für die der baptistische Theologe Walter Rauschenbusch mit seiner Sozialtheologie bis heute Beachtung verdient.“

Pietistisch geprägte Frömmigkeit und sozialistische Kapitalismuskritik
Rauschenbusch wurde als Sohn des in Amerika zum Baptismus konvertierten lutherischen Pfarrers August Rauschenbusch am 4. Oktober 1861 in Rochester, New York, geboren, verbrachte aber einen Großteil seiner Kindheit in Deutschland, wo er auch das Gymnasium abschloss. Nach seinem Theologiestudium am Rochester Theological Seminary begegnete ihm 1885 in seiner ersten Stelle als baptistischer Pastor die Not der Arbeiterschaft im New Yorker Elendsviertel „Hell’s Kitchen“. Diese Erfahrung ließ ihn zu einem leidenschaftlichen Kritiker des Kapitalismus werden, denn dieser hatte um die Jahrhundertwende zu einer tiefen Kluft in der amerikanischen Gesellschaft geführt, in der sich extremer Reichtum und existentielle Armut gegenüberstanden. Rauschenbusch gründete 1892 gemeinsam mit anderen Baptistenpastoren die „Bruderschaft des Reiches Gottes“ (Brotherhood of the Kingdom), die schnell über baptistische Kreise hinaus zu einer Verbreitung der sozialreformerischen Reich-Gottes-Theologie der Social-Gospel-Bewegung beitrug. Auch als Rauschenbusch 1897 ans Rochester Theological Seminary berufen wurde und dort 1902 den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der deutschsprachigen Abteilung übernahm, blieb er ein landesweit beachteter und erfolgreicher Vortragsredner.

Mit seinen in hoher Auflage erschienenen Veröffentlichungen „Chritianity and the Social Crisis“ (1907), „Christianizing the Social Order“ (1912) und „A Theology for the Social Gospel“ (1917) legte Rauschenbusch innerhalb des letzten Jahrzehnts seines Lebens die theologischen Grundlagen für eine Sozialtheologie, die eine pietistisch geprägte Frömmigkeit mit genossenschaftlichen Konzepten und sozialistischer Kapitalismuskritik verband.

Sich mit den negativen Auswirkungen des Weltwirtschaftssystems befassen
BEFG-Präsidiumsmitglied Frank Fornaçon betonte, obwohl einige Aussagen Rauschenbuschs nur aus seiner Zeit heraus verstanden werden könnten, halte die Leitung des Bundes Rauschenbuschs Theologie im Grundsatz für hochaktuell. Zwar könne man etwa den Kapitalismus „nicht pauschal als ‚von Gier und Konkurrenz geprägte Sünde‘ beschreiben“, doch eine intensive Auseinandersetzung mit den negativen Folgen des Weltwirtschaftssystems sei „unabdingbar“. Die Liste der Probleme sei „riesig“, und die Nachrichten machten dies täglich deutlich: „Immer mehr Menschen arbeiten fast rund um die Uhr und leben dennoch in Armut. Kinder sind immer öfter von Armut betroffen, und Familien reicht ein Gehalt häufig nicht mehr für ein gutes Leben. Menschen in ärmeren Ländern schuften oft unter menschenunwürdigen Bedingungen, wodurch wir im Westen günstige Produkte kaufen können. Und weltweit geht die Schere zwischen Arm und Reich stetig weiter auseinander.“

Natürlich könne die Kirche nicht alle diese Probleme lösen, doch es gelte, aus dem Evangelium heraus Impulse zu setzen und Dinge im Kleinen zu verändern: „Wie Rauschenbusch die Not der deutschen Migranten im New Yorker Elendsviertel Hell’s Kitchen zum Handeln veranlasst hat, darf auch uns heute die Situation unserer Mitmenschen nicht kaltlassen. Es ist die Liebe Gottes zu den Menschen, die uns aktiv werden lässt und die es weiterzugeben gilt. Den von Ungerechtigkeit und Benachteiligung Betroffenen wollen wir uns zuwenden, wie es im diakonischen Engagement vieler Gemeinden eine lange Tradition hat“, betonte Fornaçon.

In Deutschland haben sich rund 800 Ortsgemeinden mit 82.000 Mitgliedern zum BEFG zusammengeschlossen. Die Würdigung von Walter Rauschenbusch durch Professor Ralf Dziewas kann im Internet heruntergeladen werden: https://www.baptisten.de/fileadmin/befg/media/dokumente/BEFG-zum-100-Todestag-von-Walter-Rauschenbusch.pdf