Das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes sei Grund genug für eine dankbare Würdigung. Der Gottesbezug der Präambel des Grundgesetzes „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ … „mag ungewöhnlich sein und führte immer wieder zu kritischen Anfragen, ob damit nicht der Selbstanspruch der weltanschaulichen Neutralität eine Schlagseite zugunsten des Christentums bekommen hat“, so Johannes Naether. Zustimmend zitiert der den Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Horst Dreier, der diese Formulierung „eine Demutsgeste“ nannte. „Sie soll sagen: ‚Wir sind uns bewusst, dass wir mit dem Grundgesetz ein fehlerhaftes Menschenwerk vorlegen und dass es etwas Höheres als die irdischen Dinge gibt.‘“ Das sei insofern nachvollziehbar, da nach der Katastrophe der Nazi-Herrschaft eine neue Werteorientierung gefunden werden musste, ohne dabei erneut einen absolut gesetzten Wertekanon zu formulieren, zu dem sich alle Bürgerinnen und Bürger verbindlich bekennen sollten. Dann würde der Staat wieder durchregieren und sich das Recht herausnehmen, Zugriff auf jeden einzelnen zu haben. Der Gottesbezug ändere nicht die eigentlichen Rechtsinhalte, von denen einige so hoch angesiedelt seien, dass sie unter die so genannte „Ewigkeitsklausel“ (§79 Abs. 3) fallen und nicht verändert werden dürften. Hier sei vor allem das Demokratieprinzip zu nennen und dass alle Gewalt vom Volk ausgehe.
Verhältnis zwischen Staat und Kirche
Johannes Naether weist auch auf das Verhältnis zwischen Staat und Kirche hin. Die Jahrhunderte lange enge Verquickung von Staat und Kirche sei bereits durch die Weimarer Reichsverfassung (WRV) endgültig durchbrochen worden. Die Kirchenartikel § 136–139, 141 der WRV wurden ins Grundgesetz übernommen und hätten dazu beigetragen, die Kirchen und die Bürgerinnen und Bürger in eine neue Freiheit zu entlassen: „Es besteht keine Staatskirche“ Stattdessen heiße es: „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig“. Die Verfassung gewährleiste die „Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften“. Und für den Einzelnen gelte: „Alle Bewohner … genießen Glaubens- und Gewissensfreiheit“. Diese neue Freiheit stelle alle Religionsgemeinschaften auf die gleiche Augenhöhe, was durch die Körperschaftsrechte ausdrücklich unterstrichen werde. „Die Trennung von Kirche und Staat (eine Formulierung, die im Grundgesetz so nirgendwo auftaucht) darf jedoch nicht als eine scharfe Trennung verstanden werden, wie z.B. in Frankreich, wo man sich als religionsfreier, laizistischer Staat versteht. Das Grundgesetz eröffnet einen Freiheitsraum, in dem wir eine eigenständige Rolle ausüben können, ohne den Durchgriff des Staates, in welcher Form auch immer, befürchten zu müssen“, so Johannes Naether, und fährt fort: „Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚fördernden Neutralität‘. Jetzt liegt es an uns, wie wir mit diesen positiven Rahmenbedingungen umgehen wollen.“
Das Bekenntnis zum Evangelium und der Dienst am Menschen sei gleichzeitig ein Dienst an der gesamten Gesellschaft, „weil wir dadurch Werte leben, die ein Gemeinwesen stärken: Solidarität, Ehrlichkeit, Mitgefühl, Selbstverantwortung, Respekt, Nächstenliebe, etc. So geben wir der ‚fördernden Neutralität‘ des Staates in Dankbarkeit und in Verantwortung vor unserem eigenen Auftrag als Kirche etwas zurück.“ Abschließend erinnerte Johannes Naether an Aussagen des Apostels und frühchristlichen Missionars Paulus, der dazu aufrief, für die Obrigkeit zu beten.
Das Video mit der Ansprache von Johannes Naether in der Serie ANgeDACHT kann hier angesehen werden: https://youtu.be/JMybq_QMjIs. Sie kann auch in der Mai-Ausgabe der Kirchenzeitschrift Adventisten heute (S. 17) nachgelesen werden (auch online unter www.adventisten-heute.de zu lesen).
Videoserie ANgeDACHT – Der Glaubensimpuls
In „ANgeDACHT – Der Glaubensimpuls“ werden abwechselnd von den beiden Präsidenten der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland aktuelle Themen der Kirche und Gesellschaft aufgegriffen und mit Mitgliedern adventistischer Kirchengemeinden (Adventgemeinden), Freundinnen und Freunden der Adventgemeinden sowie geistlich interessierten Menschen geteilt. In Textform erscheinen sie monatlich in der Kirchenzeitschrift Adventisten heute.