Der „Internationale Tag zum Gedenken an die Opfer von Gewalttaten aus Gründen der Religion oder des Glaubens“ am 22. August 2024 für Menschen, die Opfer von Gewalt aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung wurden, gibt Gelegenheit, die Bilanz des Gesundheitszustands der Religionsfreiheit zu ziehen. Die Nichtregierungsorganisation „Open Doors“ veröffentlicht jedes Jahr den Weltverfolgungsindex, der aufzeigt, in welchen Ländern Christen wegen ihres Glaubens starker Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Während in den letzten zehn Jahren allgemein festgestellt wurde, dass sich die Verfolgung allmählich verstärkte aber weniger schnell ausbreitete, ändert sich die Lage mit den Ergebnissen des Index 2024.
Verdoppelung der Wachstumsrate der Verfolgung von Christen zwischen 2023 und 2024
Die Wachstumsrate der Verfolgung von Christen hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, wie „Open Doors“ in der Schweiz resümiert. Dieser Trend zeigt sich insbesondere durch:
· Eine Rekordzahl an geschlossenen oder zerstörten Kirchen in einem Jahr: 14.766, siebenmal mehr als im Vorjahr;
· einen Anstieg des Gewaltwertes um insgesamt 7,7 Prozent in allen 50 führenden Ländern des Weltverfolgungsindex. Mehr als die Hälfte der Länder in den Top 50 des Index sind von einem Anstieg des Gewaltniveaus gegen Christen betroffen;
· eine Rekordzahl von Ländern, in denen Christen in hohem oder sehr hohem Maß verfolgt werden: 78 Länder gegenüber 76 im Vorjahr;
· eine Rekordzahl von Ländern, in denen Christen extrem verfolgt werden: 13 Länder gegenüber 11 im Vorjahr.
Die Explosion der Gewalt äußert sich laut Open Doors in einem starken Anstieg der Zahl der Christen, die körperlich angegriffen oder mit dem Tod bedroht wurden (42.849 gegenüber weniger als 30.000 im Vorjahr), der Zahl der angegriffenen Gebäude von Christen sowie der Zahl der Christen, die gezwungen waren, aus ihren Häusern zu fliehen (278.716 gegenüber 124.310 im Vorjahr). Siehe auch: www.apd.info/news/2024/01/17/christliches-hilfswerk-open-doors-veroffentlicht-weltverfolgungsindex-2024
EKD erinnert an das Schicksal der Jesiden
Anlässlich des heutigen Gedenktags erinnert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) insbesondere an den Leidensweg der Jesiden, der vor zehn Jahren in Sinjar im Nordirak begann. Ab August 2014 wurden die Angehörigen der religiösen Minderheit durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) systematisch verfolgt, vertrieben, versklavt und ermordet. Nachdem der IS Massaker an mehr als 5000 männlichen Angehörigen verübt hatte sowie Häuser, Dörfer, Felder und die gesamte Infrastruktur der Siedlungen zerstörte hatte, erwarteten die Frauen und Mädchen weitere Gräueltaten. Etwa 7000 Frauen und Mädchen wurden Opfer dieser systematisch verübten Gewalttaten - noch immer gelten 2700 von ihnen als vermisst.
Auch die christlichen Gemeinden, die seit den ersten Jahrhunderten nach Christus in der Ninive-Ebene beheimatet sind, wurden zu Opfern von Massenflucht und Vertreibung während der IS-Herrschaft. Gegen Jesiden jedoch richtete sich der systematische Vernichtungswille der Islamisten, der die komplette Auslöschung der jesidischen Minderheit, ihrer Religion und ihrer Kultur zum Ziel hatte, heißt es in einer Pressemitteilung der EKD.
Die Vereinten Nationen haben die Verbrechen an den Jesiden als Völkermord anerkannt, der Deutsche Bundestag hat sich dem im Januar 2023 angeschlossen und betont, sich mit Nachdruck zum Schutz jesidischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit einzusetzen. Von etwa einer Million Jesiden weltweit lebt die größte jesidische Diaspora mit etwa 250.000 Angehörigen in Deutschland. Ungefähr 280.000 Menschen befinden sich noch immer in Flüchtlingslagern im Nordirak. Nun würden die Camps jedoch geschlossen, ohne dass es tatsächliche Fortschritte zum Wiederaufbau in der Herkunftsregion gebe. „Vor diesem Hintergrund sind Abschiebungen von Jesiden, bei denen auch Familien getrennt werden, nicht zu rechtfertigen. Deutschland hat mit der Anerkennung des Genozids explizit Verantwortung dafür übernommen, die Opfer zu schützen. Auch wenn der IS als besiegt gilt, ist der Terror noch immer an Körper und Seele spürbar, ist die Gefahr nicht gebannt. Insofern ist es nur folgerichtig, dass es einen bundesweiten Abschiebestopp für Jesiden geben muss und eine dauerhafte Bleiberechtsregelung gefunden wird“, wird Bischöfin Bosse-Huber in der Pressemitteilung der EKD zitiert.
Stellungnahme aus der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz
Für den Vorsitzenden der Kommission Weltkirche der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), ist das Anliegen dieses Gedenktages von anhaltender Aktualität: „Leider stellen wir statt eines Rückgangs eine stetige Zunahme von Gewalt gegen Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Religionszugehörigkeit fest. Wir müssen mitansehen, wie religiöse Intoleranz und Diskriminierung immer wieder zu Angriffen auf Andersdenkende führen. Dabei denke ich nicht nur an die christlichen Glaubensgeschwister weltweit, die unter Ausgrenzung und Verfolgung leiden, sondern an alle Menschen, die von religiös motivierter Gewalt betroffen sind. Als Christinnen und Christen können wir dem Leid der Opfer gegenüber nicht gleichgültig sein. Denn diese Übergriffe sind auch immer ein Angriff auf die Würde der Menschen, die die Basis der Menschenrechte ist und die für uns in der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen gründet“, wird er in einer Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz zitiert.
Zu den Menschenrechten gehöre auch die Religionsfreiheit. Ihr Schutz sei eine kollektive Aufgabe, betont Bischof Meier. Zunächst obliege es jedem Staat, die religiöse Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu garantieren: „Alle Staaten tragen die Verantwortung, Verletzungen der Menschenrechte und damit auch der Religionsfreiheit entgegenzutreten. Wo dies nicht passiert oder gar der Staat selbst diese Rechte angreift, sind Diskriminierung und am Ende auch Gewalt insbesondere gegenüber religiösen Minderheiten nicht weit.“
Weitere Verantwortung sieht Bischof Meier bei den Religionen: „Darüber hinaus stehen die Glaubensgemeinschaften und damit auch wir als Kirche in der Pflicht, der Instrumentalisierung des eigenen Glaubens und der Diskriminierung Andersgläubiger entschieden entgegenzutreten. Daher kann ich nur immer wieder betonen, wie wichtig der Dialog zwischen den Religionen für ein friedliches Miteinander ist. Dort, wo wir beginnen, einander zu verstehen und zu respektieren, können wir Hass und Gewalt den Nährboden entziehen.“
Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für Religionsfreiheit e. V.
Die Deutsche Vereinigung für Religionsfreiheit e. V. äußerte sich ebenfalls zum UN-Gedenktag gegen religiöse Gewalt. In einer Stellungnahme schrieb Vorstandsmitglied Dr. Harald Mueller: „Wenn es um religiöse Gewalt geht, sind Christen global die am stärksten betroffene Gruppe, allerdings auch nicht die einzige. Christen sind auch nicht immer nur Opfer. Bevor religiös motivierte Aggressionen offen zutage treten, sind im Vorfeld Dinge aus dem Ruder gelaufen. Wie kommt es, dass Menschen andere Menschen hassen, weil sie anders sind und anders glauben als sie selbst? Das Bekenntnis zu einer Religion ist für viele ein wichtiger Teil der eigenen Identität und dient der Selbstvergewisserung und auch der Abgrenzung. Problematisch wird es, wenn Religion instrumentalisiert wird, um Macht auszuüben und andere zu diskriminieren, leider häufig in einem politischen Kontext. Gewaltanwendung erscheint dann als ein legitimes Mittel, um eigentlich bestehende Verhaltensgrenzen zu durchbrechen. Wenn man dem entgegenwirken will, muss man wahrscheinlich ganz unten ansetzen, bei den Familien und der frühkindlichen Bildung. Es ist nicht damit getan, auf das Eingreifen von staatlichen oder internationalen Institutionen zu warten, sondern jeder ist aufgerufen, in seinem persönlichen Umfeld selbst einen Beitrag gegen Hass und religiöse Intoleranz zu leisten.“
Open Doors
Mehr als 360 Millionen Christen sind weltweit aufgrund ihres Glaubens einem zumindest hohen Ausmaß an Verfolgung ausgesetzt. Open Doors wurde 1955 gegründet und hilft heute verfolgten Christen ungeachtet ihrer Konfession in mehr als 70 Ländern.
Mehr zu Open Doors: www.opendoors.de
Kirchen und Religionsfreiheit
Die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die ebenfalls römisch-katholische Deutsche Kommission „Justitia et Pax“ legen in ihrer Arbeit seit Jahren einen Schwerpunkt auf die Verteidigung und Förderung der Religionsfreiheit. In diesem Zusammenhang steht unter anderem seit 2003 die jährliche Initiative Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit der Deutschen Bischofskonferenz. Weitere Informationen zu dieser Initiative sind unter www.dbk.de/themen/solidaritaet-mit-verfolgten-und-bedraengten-christen zu finden.
In unregelmäßigem Abstand veröffentlicht die Deutsche Bischofskonferenz darüber hinaus zusammen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland den Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit. Der aktuelle, 3. Ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit weltweit 2023 ist unter www.dbk.de als PDF-Datei zum Herunterladen in der Rubrik Publikationen verfügbar und kann dort auch als Broschüre (Gemeinsame Texte Nr. 28) bestellt werden.
Deutsche Vereinigung für Religionsfreiheit e. V.
Die Deutsche Vereinigung für Religionsfreiheit e. V. ist ein Zweig der Internationalen Vereinigung zur Verteidigung und Förderung der Religionsfreiheit, die 1946 von dem Arzt Dr. Jean Nussbaum in Paris gegründet wurde und heute ihren Sitz in Bern hat. Ziel der Vereinigung ist die Förderung und Wahrung der Grundsätze der Religionsfreiheit, die wissenschaftliche Erforschung der Grundrechte der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Förderung der allgemeinen Toleranz durch Wahrung der Rechte des Einzelnen, seinen Glauben und seine Überzeugung öffentlich oder privat zu vertreten. Die Vereinigung unterhält ein Institut für Religionsfreiheit, das an der Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg angesiedelt ist und vom Juristen Dr. Harald Mueller geleitet wird.