Appell von Hilfsorganisationen an die deutsche Politik: Internationale Solidarität ist nicht verhandelbar

Wasserreservoirs anlegen, wie hier in Somalia, kann helfen, kurze Dürreperioden zu überbrücken.

© Foto: ADRA Somalia

Appell von Hilfsorganisationen an die deutsche Politik: Internationale Solidarität ist nicht verhandelbar

Mit einem eindringlichen Appell haben sich zehn führende deutsche und internationale Hilfsorganisationen aus den Bereichen humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit an die Spitzen der deutschen Politik gewandt.

APD

In einem offenen Brief an die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von Grünen, SPD, CDU/CSU, FDP und Linken äußern die Organisationen ihre wachsende Sorge über aktuelle Entwicklungen im öffentlichen Diskurs, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden und die internationale Verantwortung Deutschlands infrage stellen. Darüber informiert die Hilfsorganisation ADRA Deutschland e.V. in einer Pressemitteilung. Sie gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefes.

Zum Inhalt des Briefes

„Die humanitäre Hilfe steht weltweit unter Druck. Während die USA als größter Geber massive Kürzungen vornehmen, muss Deutschland eine stärkere Rolle einnehmen und seiner Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung gerecht werden“, heißt es in dem offenen Brief.

Die Organisationen warnen davor, dass die Mittel für lebensrettende Arbeit in Krisen- und Konfliktgebieten der Welt schwinden, während die Not gleichzeitig zunimmt. Sie fordern die Bundesregierung auf, ein klares Zeichen für internationale Solidarität zu setzen und die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden Haushaltsverhandlungen nicht zu kürzen.

„Es darf nicht sein, dass die internationale Verantwortung Deutschlands kurzfristigen innenpolitischen Interessen geopfert wird. Die Konzentration auf innenpolitische Themen verkennt die zunehmende Bedeutung globaler Herausforderungen wie Hunger, Flucht und Vertreibung, Konflikten und der Klimakrise“, so die Organisationen weiter.

Deutschland trage eine wesentliche Verantwortung, die eklatanten globalen Ungleichheiten abzubauen. In einer Welt mit einem Höchststand an humanitären Krisen und Bedarfen ist die Verantwortung akuter denn je. Zugleich trage Deutschland als eine der größten Industrienationen auch eine historische Verantwortung, die sich verschärfenden akuten und strukturellen Ungleichheiten abzubauen.

Die Hilfsorganisationen betonen, dass sie sich der Notwendigkeit von Effizienz- und Effektivitätssteigerungen in ihrem Sektor bewusst seien. Sie weisen jedoch darauf hin, dass ihre Möglichkeiten begrenzt seien, wenn die Mittel drastisch gekürzt würden.

„In einer Zeit, in der immer mehr Menschen unverschuldet in Not geraten, ist es trotz steigender Effizienz und Effektivität nicht möglich, mit wesentlich weniger Mitteln deutlich mehr Menschen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die Schere wird im Gegenteil immer weiter aufgehen“, heißt es in dem Appell.

Die Organisationen fordern die Politik auf, die Zivilgesellschaft zu unterstützen und den Schutz des humanitären Raums in Konfliktgebieten sowie die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten.

„Wenden Sie sich nicht von Millionen von Menschen in Not ab. Setzen Sie innerhalb Ihres Amtes ein klares Zeichen für internationale Solidarität und gegen jede Form von Populismus und Diskriminierung. Menschen, die durch Kriege, Konflikte und die Klimakrise unverschuldet in Not geraten sind, dürfen nicht zur politischen Verhandlungsmasse werden“, so die Organisationen.

Hier der Link zum offenen Brief.

Liste der unterzeichnenden Organisationen:

•       ADRA Deutschland e.V.

•       Aktion gegen den Hunger

•       Ärzte der Welt e.V.

•       DRC Deutschland International Rescue Committee (IRC) Deutschland

•       NRC Deutschland

•       Oxfam Deutschland e.V.

•       Plan International Deutschland

•       Save The Children

•       Welthungerhilfe

Auch Dachverband VENRO warnt vor unabsehbaren Folgen

Die Aussetzung der nahezu kompletten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe durch die US-Entwicklungsbehörde USAID habe gravierende Auswirkungen auf die direkte Versorgung von mindestens 120 Millionen Menschen in mehr als 100 Ländern, so VENRO, der Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen, in einer Pressemitteilung. Der Verband ruft mit zahlreichen Akteuren zum gemeinsamen Handeln der internationalen Gemeinschaft auf und warnt vor unabsehbaren Folgen für das globale humanitäre System.

Als größter humanitärer Geber hatten die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr allein einen Anteil von 42 Prozent an der globalen Finanzierung, so VENRO. Internationale Hilfsorganisationen berichten, dass durch den Stopp direkt und indirekt unzählige humanitäre Programme betroffen seien. Zum Beispiel rechnet die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC Africa mit zwei bis vier Millionen Toten durch Rückschritte in der Gesundheitsversorgung. Es gebe umfassende Versorgungsausfälle im Sudan, Syrien, Gaza und der Ukraine. Zudem seien auch die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte in den Bereichen Bildung, Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit und Demokratie gefährdet. Konkrete Auswirkungen zeigten sich auch bei VENRO-Mitgliedsorganisationen: So können ein geplantes Projekt zu Ernährungssicherheit in Simbabwe, das über 74.000 Menschen erreicht hätte, und ein Projekt zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern in Rumänien nicht gestartet werden.

„Hier kommt gerade ein komplettes System zum Erliegen, das Menschen in Krisen- und Katastrophenregionen ihr Überleben sichert“, sagt Michael Herbst, VENRO-Vorstandsvorsitzender. „Wir, die reichen Geberländer, müssen jetzt schnell handeln, um die schon jetzt katastrophalen Folgen wenigstens dort, wo akut Menschenleben bedroht sind, abzufangen.“

Auch die Bundesregierung müsse deshalb nun Sondermittel für die Humanitäre Hilfe und die Krisenbewältigung zur Verfügung stellen und dafür eine europäische Allianz bilden.

„Wir sollten diese Entwicklung als Weckruf sehen, um zukünftig nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit zu sichern und den Schutz von Millionen Menschen, die von Kriegen und Krisen betroffenen sind, gewährleisten zu können. Wir brauchen eine Bundesregierung, die daran verlässlich, verantwortungsvoll und solidarisch mitwirkt. Deutschland kann und sollte hier Vorreiter sein“, so Herbst.

Die VENRO-Pressemitteilung wird von 27 Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe unterstützt. Siehe https://venro.org/presse/detail/us-entwicklungsleistungen-gestoppt-deutschland-muss-verantwortung-uebernehmen

ADRA Deutschland

ADRA Deutschland e. V. mit Sitz in Weiterstadt bei Darmstadt wurde 1987 gegründet, hat rund 50 Angestellte und steht der protestantischen Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten nahe.  Es ist Teil des weltweiten ADRA-Netzwerks, das 1956 gegründet wurde, aus 108 eigenständigen nationalen Büros besteht und weltweit Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe in Katastrophenfällen durchführt. ADRA steht für Adventist Development and Relief Agency. ADRA Deutschland ist unter anderem Gründungsmitglied des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), der „Aktion Deutschland Hilft“ und „Gemeinsam für Afrika“. Informationen: www.adra.de.