Moskau und Rom wollen gemeinsam mehr für verfolgte Christen tun

Bern und Freiburg/Schweiz | poi/CBS-KULTUR-INFO/APD

Der Heilige Stuhl und das Moskauer Patriarchat wollen ihre Zusammenarbeit im Hinblick auf die Situation der verfolgten Christen im Nahen Osten und anderen Weltregionen verstärken. Dies ist ein Ergebnis der Veranstaltung „Der Dialog geht weiter“, die am 12. Februar auf Einladung der katholischen Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und des Instituts für Ökumenische Studien in Freiburg/Schweiz, eines der Kompetenzzentren der Theologischen Fakultät der dortigen Universität, zum ersten Jahrestag des aufsehenerregenden Treffens zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. stattgefunden hat.

Die Hauptreferate wurden von Kardinal Kurt Koch, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, und Metropolit Hilarion (Alfejew), dem Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, gehalten. Der Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Charles Morerod, und der orthodoxe Metropolit für die Schweiz, Jeremie (Kaligiorgis), begrüßten die Teilnehmenden. „Der gemeinsame Einsatz für die verfolgten Christen ist das wichtigste, was wir jetzt gemeinsam tun können“, betonte Metropolit Hilarion.

Der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchates stellte in seinem Referat fest, das Treffen zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill am 12.2.2016 auf dem Flughafen von Havanna sei sofort zu Recht als „historisch“ bezeichnet worden. Denn dieses Treffen habe auch gezeigt, welches Maß an Vertrauen und gegenseitigem Verständnis zwischen den beiden Kirchen bereits erzielt worden sei. Die gemeinsame Erklärung von Papst und Patriarch habe ehrlich von den „Problemen“ gesprochen, die es in den Beziehungen zwischen den Kirchen nach wie vor gebe. Mit Bedauern werde in der Erklärung auch festgestellt, dass Katholiken und Orthodoxe seit nahezu tausend Jahren nicht mehr in der Gemeinschaft der Eucharistie vereint seien. Diese Trennung sei „in erster Linie und vor allem“ die Konsequenz der menschlichen Schwäche und der Sünde, die gegen den Willen des Erlösers im Hinblick auf die Einheit seiner Jünger gerichtet sei. Daher hätten Papst und Patriarch ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass das Treffen von Havanna zur Wiederherstellung der von Gott gewollten Einheit beitragen möge, so Metropolit Hilarion. Es sei kein Zufall, dass Franziskus und Kyrill die Leiden der Christen im Nahen Osten als „Martyrium“ bezeichnet hätten, unterstrich der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Denn durch ihr gemeinsames Leiden seien die Märtyrer ein „Unterpfand der Einheit der Christen“.

Revival des Christentums in Osteuropa und Russland
Als wichtig bewertete Metropolit Hilarion die Tatsache, dass die gemeinsame Erklärung auf das „Revival“ des Christentums in Russland und anderen osteuropäischen Ländern Bezug nehme. Es werde des 100. Jahrestags der Oktober-Revolution gedacht, die den Weg für die Verfolgung der orthodoxen Kirche und der anderen christlichen Konfessionen eröffnet habe. Das Martyrium der Glaubenszeugen habe nicht nur das Wiederaufleben des kirchlichen Lebens begründet, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Orthodoxen und Katholiken.

Fortschritte im Dialog zwischen orthodoxer und römisch-katholischer Kirche
Der Bereich dieser Zusammenarbeit sei in Russland in den letzten 25 Jahren ausgeweitet worden und betreffe heute verschiedene Aspekte des öffentlichen Lebens. Der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats nahm in diesem Zusammenhang auf den Fortschritt des multilateralen theologischen Dialogs zwischen orthodoxer und römisch-katholischer Kirche Bezug und würdigte das bei der 14. Vollversammlung der Kommission für den katholisch-orthodoxen Dialog in Chieti verabschiedete Dokument „Synodalität und Primat im ersten Jahrtausend: Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis im Dienst der Einheit der Kirche“. Er hoffe, so Metropolit Hilarion, dass in „nächster Zukunft“ auch das Zentralthema der Trennung – Synodalität und Primat in den Kirchen des Ostens und des Westens im zweiten Jahrtausend – angegangen werden könne.

Der machtvolle Aufruf des Papstes und des Patriarchen in Havanna, die Gefahr des Extremismus gemeinsam zu bekämpfen, habe dann zu den russisch-amerikanischen Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Syrien geführt, hob der Metropolit hervor.

Verfolgung der Christen im Nahen Osten gemeinsam bekämpfen
Das Moskauer Patriarchat habe während der vergangenen Monate immer wieder auf die Verfolgung der Christen in der nahöstlichen Region verwiesen und „gemeinsame Anstrengungen“ zur Bekämpfung des Terrorismus gefordert. In diesem Zusammenhang nannte Metropolit Hilarion auch die Pastoralreisen von Kyrill I. nach London und Paris, in deren Rahmen es Treffen mit Spitzenrepräsentanten der Regierungen gegeben habe sowie die Solidaritätserklärung des 5. Europäischen Katholisch-Orthodoxen Forums in Paris für die leidenden Christen im Nahen Osten und in anderen Gebieten.

Botschaft von Papst und Patriarch hören und Blutvergießen in der Ukraine beenden
Der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Botschaft von Papst und Patriarch zur Einstellung des Blutvergießens in der Ukraine endlich auch von allen gehört und der Friede in einem Land, „in dem Orthodoxe und Katholiken Seite an Seite leben“, wiederhergestellt wird. Dieser Appell sei besonders dringlich, da in jüngster Zeit die Spannungen in der Ostukraine wieder zugenommen hätten, was auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt habe. Sowohl Papst Franziskus als auch Patriarch Kyrill hätten in ihren Grußbotschaften zum 25. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine im August die Regierenden des Landes ersucht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine friedliche Lösung für den Konflikt zu finden. Der einzige Weg, um die Konfrontation in der Ukraine zu überwinden, sei die Implementierung der Vereinbarungen von Minsk. Leider müsse man mitansehen, wie das Gegenteil geschehe, so Metropolit Hilarion. Wörtlich sagte der Metropolit weiter: „Es ist unmöglich, den Frieden herzustellen, wenn orthodoxe und griechisch-katholische Christen nicht ihre Anstrengungen vereinen, um die historische Feindschaft zu überwinden“.

Wieder Kritik an den Unierten
In diesem Zusammenhang kam Metropolit Hilarion allgemein auf die Unierten-Frage zu sprechen. Die Feststellung in der gemeinsamen Erklärung von Havanna, dass die Unionen kein Weg zur Wiederherstellung der Einheit der Kirchen sind, sei eine „wichtige Voraussetzung“ für die Wiedergewinnung des Vertrauens von Seiten der orthodoxen Christen gewesen. Die gemeinsame Erklärung habe damit aber nur die Feststellungen des 1993 in Balamand verabschiedeten Dokuments der römisch-katholisch-orthodoxen Dialogkommission bestätigt. Trotzdem habe die Begegnung zwischen Papst und Patriarch und die Feststellungen über die Ukraine und die Unierten-Frage in der gemeinsamen Erklärung große Irritationen in der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche ausgelöst: So habe der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk gesagt, seine Kirche habe mehr als eine Erklärung dieser Art überlebt, sie werde auch diese überleben.

Trotz aller hochrangigen Übereinkünfte werde von Seiten der Unierten „Feindschaft und Hass“ gesät, auf dem Weg der Versöhnung zwischen Ost und West würden Hindernisse aufgebaut, bedauerte der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Daher müsse die begonnene, aber im Rahmen des theologischen Dialogs zwischen römisch-katholischer und orthodoxer Kirche nicht abgeschlossene Diskussion über die Unierten-Frage weitergeführt werden. Orthodoxe und Katholiken müssten erkennen, dass die althergebrachte Haltung auf der Basis von Rivalität und „Seelenfang“ angesichts der Herausforderungen für die Kirchen brüderlicher Zusammenarbeit Platz machen müsse. Denn unter dem Vorwand der Förderung von Toleranz, Demokratie und liberalen Werten seien das Christentum und die traditionellen moralischen Werte einer tatsächlichen Verfolgung ausgesetzt. Metropolit Hilarion nannte u.a. ausdrücklich den Trend, „andere Formen des Zusammenlebens“ auf dieselbe Ebene wie die traditionelle Familie zu stellen, sowie das „schreckliche Problem der Abtreibung“. In Russland sei 1920, bald nach der antireligiösen Revolution, die Abtreibung erstmals legalisiert worden; heute werde pro Jahr in der Russischen Föderation rund einer Million ungeborener Kinder das Leben genommen. Um dieser inakzeptablen Praxis ein Ende zu bereiten, reichten gesetzliche Verbote aber nicht aus, vielmehr müsse in den Herzen der Menschen die Idee zurückgewiesen werden, dass es möglich sei, ein ungeborenes Kind zu töten.

Sich gegenseitig nicht als Konkurrenten sondern als Geschwister sehen
Im Hinblick auf die praktische Zusammenarbeit zwischen römisch-katholischer und russisch-orthodoxer Kirche hob Metropolit Hilarion u.a. die Wallfahrten von Katholiken und Orthodoxen in das jeweils andere Kirchengebiet und den Studentenaustausch im theologischen Bereich hervor. Diese regelmäßigen Kontakte würden den Gläubigen beider Kirchen helfen, einander nicht als Konkurrenten, sondern als Geschwister zu sehen und zu lernen, miteinander in „Frieden, Liebe und Harmonie“ zu leben. Das sei der einzige Weg, damit Orthodoxe und Katholiken bei der Verkündigung der „guten Nachricht der Erlösung“ brüderlich zusammenarbeiten können. Die gemeinsame Erklärung von Papst und Patriarch sei nicht nur ein „Zeichen des Fortschritts in den Beziehungen zwischen den beiden Kirchen“ gewesen, sondern sie habe auch – was noch viel wichtiger sei - den Weg für die weitere Entwicklung dieser Beziehungen aufgezeigt.

Copyright © Christian B. Schäffler (CBS-KULTUR-INFO) 2017. Mit News-Input der Stiftung Pro Oriente (poi), Wien.

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